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«Es kommen drei grosse Umbrüche gleichzeitig auf uns zu»

Interview in der Luzerner Zeitung vom 6. Febraur 2021

Die Auswirkungen der Pandemie werden uns noch lange beschäftigen, sagt der Luzerner Privatbankier Christof Reichmuth. Interview: Gregory Remez

Christof Reichmuth deutet auf einen überdimensionalen bronzefarbenen Fünfliber in der Mitte des Konferenztisches, der wie ein Kuchen in sechs unterschiedlich grosse Stücke geteilt ist, und sagt: «Im Grunde genommen ist das unser Geschäft: für jeden Kunden den passenden Zuschnitt zu finden.»

Reichmuth ist seit 2015 Präsident der Luzerner Privatbank Reichmuth & Co., die heuer ihr 25-jähriges Bestehen feiert und jüngst ihre Geschäftsleitung neu organisiert hat (siehe Box). Nebst den Auswirkungen der Pandemie treiben den 52-Jährigen derzeit vor allem geo- und geldpolitische Fragen um.

Das Firmenjubiläum haben Sie sich sicher anders vorgestellt. Was bereitet Ihnen momentan am meisten Kopfschmerzen?

Christof Reichmuth: Ja, in der Tat. Die politischen Auswirkungen der Pandemie werden uns noch lange beschäftigen. Und natürlich ist das Ganze vor allem für viele kleinere Firmen eine Tragödie. Man muss nur mal durch die Altstadt laufen und schauen, wie viele der kleineren Läden leer stehen. Einige Grossfirmen werden dagegen je nachdem sogar als Profiteure aus der Krise hervorgehen.

Von Gross- und Kantonalbanken war seit Beginn der Pandemie viel zu hören, von Privatbanken dagegen kaum etwas. Wie hat Reichmuth das letzte Jahr überstanden?

2020 war für uns trotz Pandemie ein sehr gutes Jahr. Wir konnten viele Neukunden dazugewinnen, auch aus dem Ausland – und das, obwohl das Reisen nur sehr eingeschränkt möglich war. Wir haben festgestellt, dass vor allem Leute aus dem deutschen Raum nach Möglichkeiten gesucht haben, ihr Geld in die Schweiz zu verlagern. Diese Entwicklung kam uns sicher zugute.

Reichmuth ist inzwischen auch in München vertreten, nebst den Schweizer Niederlassungen in Luzern, Zürich und St.Gallen. Sind noch weitere Expansionen geplant?

Wenn man auf die Deutschschweiz blickt, bleiben als sinnvolle Standorte für uns eigentlich nur Basel und Bern übrig. Nun ist Bern als Markt vergleichsweise klein und Basel ist zwar ein guter Wirtschaftsstandort, aber total «overbanked» – da lohnt sich eine Expansion kaum. Deutschland käme schon eher in Frage, zumal Schweizer Banken dort momentan sehr willkommen sind.

Zurück zum vergangenen Jahr: Wo lagen für die Bank Reichmuth die grössten Herausforderungen?

Dieselben wie für andere Unternehmen auch. Die Aufteilung der Teams sowie die Verlagerung eines grossen Teils der Belegschaft ins Homeoffice war nicht ganz einfach, schliesslich wollten wir den Kontakt zu unseren Kunden stets aufrechterhalten. Aber im Vergleich zu den Sorgen, die andere Firmen in den vergangenen Monaten hatten, ist das natürlich vernachlässigbar.

Wie haben Sie es geschafft, die Kunden bei Laune zu halten? Hat die Bank ihre Anlagestrategie geändert? Reichmuth ist ja dafür bekannt, nicht immer dem Mainstream zu folgen.

Nein, an unserer Strategie hat sich auch im Pandemiejahr nichts Grundlegendes geändert. Die meisten Kunden schätzen vor allem, dass wir ein inhabergeführtes Unternehmen sind, das sehr langfristig denkt. Jahresresultate sind für uns immer nur Zwischenresultate in einem Marathon, der im besten Fall über Generationen hinweg dauert.

Was aber, wenn die Zwischenresultate wenig zufriedenstellend sind? Die Bank hatte zuletzt auch Jahre mit unterdurchschnittlicher Performance. Werden manche Kunden da nicht ungeduldig und springen ab?

Zwischen 2012 und 2014 hatten wir eine Phase, in der unsere Performance nicht so gut war, wie sie hätte sein können. Unter anderem hatte das damit zu tun, dass wir den damaligen Hype um Bonds, also Anleihen, nicht mitgemacht hatten. Grosse Mengen an Kunden haben wir deswegen aber nicht verloren. Und seit 2015 war die Performance wieder sehr gut – im letzten Jahr sowieso.

Sie sind seit 2015 Verwaltungsratspräsident. Von welchen Grundsätzen lassen Sie sich leiten? Sie stehen im Ruf, ein Ideologe zu sein.

Überhaupt nicht. Ich bin kein Missionar. Es gibt eigentlich nur zwei Prinzipien, die mir am Herzen liegen und nach denen ich handle: Einerseits bin ich sehr liberal – die Freiheit soll sehr weit gehen, solange man niemandem schadet. Anderseits ist mir Toleranz wichtig. Ich behaupte daher weder, die Wahrheit zu kennen, noch zu wissen, wie andere zu leben haben.

Die freie Marktwirtschaft hat aber spätestens seit der Finanzkrise eine Entzauberung erlebt. Und in einer Krise wie der jetzigen sind ohnehin andere Ansätze gefragt.

Ich bin grundsätzlich der Meinung, dass ein Markt Zuteilungsprobleme besser lösen kann als ein Zentralkomitee. Und zwar nicht, weil der Markt immer richtig liegt. Der übertreibt immer mal wieder, und zwar auf beide Seiten. Aber dennoch habe ich mehr Vertrauen in die Märkte als in eine zentrale Verwaltung.

Auch in einer ausserordentlichen Lage wie einer Pandemie?

Der Staat kann nie all die erforderlichen Informationen haben, um komplexe Verteilungsfragen zu lösen. Er hat zweifellos wichtige Aufgaben, ich bin aber der Meinung, dass der Staat nicht mehr Aufgaben übernehmen sollte als unbedingt nötig. Die Schweiz hat diesen Balanceakt in der Krise bisher aber nicht schlecht gemeistert.

Öffnen wir den Blick etwas: Wie schätzen Sie die aktuelle ökonomische Weltlage ein, auch mit Blick auf den Machtwechsel in den USA?

Es ist offensichtlich, dass die Globalisierung in den letzten vier Jahren unter Trump einen herben Dämpfer erlitten hat. Vor allem in den USA hat man China plötzlich nicht mehr als Handelspartner, sondern als eine Gefahr gesehen. Dieser Konflikt wird sicher bestehen bleiben, unter Biden aber wohl nicht mehr ganz so laut geführt werden. Und die Dissonanzen zwischen den USA und Europa werden sich wieder etwas beruhigen. Ich erwarte allgemein weniger Zerstrittenheit, was in der jetzigen Situation schon viel wert ist.

Was kommt auf die Schweiz zu?

Die politische Grosswetterlage ist momentan ganz ok. Nur haben wir das Problem, dass nun verschiedene Umbrüche gleichzeitig auf uns zukommen. Neben den wachsenden Machtansprüchen Chinas und dem technologischen Wandel, der sich durch Corona noch einmal beschleunigt hat, steht uns vor allem ein geldpolitischer Umbruch bevor.

Was meinen Sie damit?

Um die gegenwärtige Krise wirtschaftlich abzufedern, werden Schulden angehäuft. Und weil die Zinsen bei null sind, macht man noch mehr Schulden, die über die Zentralbank finanziert werden. Da stellt sich schon die Frage: Glaubt noch jemand daran, dass die Zentralbanken die grossen Staatsschuldpapiere in ihren Bilanzen jemals abbauen werden?

Das ist im gegenwärtigen System doch gar nicht vorgesehen.

Es ist aber auch nicht vorgesehen, dass alles Mögliche über Staatsschulden finanziert wird. Das würde auch gar nicht gehen, wenn es nicht alle westlichen Staaten machen würden. Und eigentlich ist auch allen klar, dass das nicht ewig so weitergehen kann. Deshalb achte ich stark auf die Inflationserwartungen und die Entwicklung der langfristigen Zinsen. Durch die aktuelle Krise dürfte sich eine Wende bei den kurzfristigen Zinsen aber noch einmal um fünf Jahre nach hinten verschoben haben.

Was würde eine Zinswende bewirken?

Durch die aktuelle Zinspolitik werden Vermögenswerte aufgeblasen. Das führt unter anderem dazu, dass die Ungleichgewichtung – zumindest auf dem Papier – weiter zunimmt: Die Reichen werden reicher, die Armen ärmer. Würden sich die Zinsen normalisieren, würde auch wieder Luft aus den aufgeblasenen Vermögenswerten rausgelassen. Doch das zeichnet sich nicht ab. Daher wird die Politik als Reaktion auf die allgemeine Besorgnis, dass die Schere noch weiter aufgeht, mit starken Gegenmassnahmen zu Gunsten der unteren und mittleren Schicht reagieren, etwa durch eine Anhebung der Mindestlöhne. Uns steht in den kommenden Jahren also eher eine Rückkehr des Keynesianismus bevor – mit starken staatlichen Fiskalmassnahmen.

Was erwarten Sie von 2021?

Wir blicken alles in allem zuversichtlich auf das angebrochene Jahr. Die Weltwirtschaft dürfte wieder Fahrt aufnehmen und aufgeschobene Projekte wieder aufgenommen werden. Das ist eine gute Nachricht – sowohl für uns als auch unsere Kunden, ja für alle. Dank der Impfung dürfte der Überlebenskampf schon bald dem Zukunftsblick weichen.

Interview in der Luzerner Zeitung vom 6. Februar 2021

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