Haften statt retten – ein Appell der Privatbankier an die Politik
NZZ-Artikel vom 1. September 2025
Im Rahmen einer breit abgestützten Initiative zur Stärkung der Eigenverantwortung im Bankensektor ist am 1. September 2025 in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) der Gastbeitrag «Haften statt retten» erschienen. Verfasst wurde der Beitrag von Christian Bidermann, Partner bei Rahn & Bodmer und Jürg Staub, unbeschränkt haftender Gesellschafter der Reichmuth & Co.
Ergänzend dazu hat Dr. Adriel Jost, freischaffender Ökonom und Publizist, einen vertiefenden Essay zur historischen und aktuellen Entwicklung der persönlichen Haftung und Verantwortung im Bankwesen erstellt. Sein Beitrag beleuchtet die grundlegenden Fragen, die sich im Spannungsfeld zwischen Markt, Moral und Regulierung stellen.
NZZ-Artikel: Bankensektor – haften statt retten
Früher wurden Bankiers, die ihren Verpflichtungen nicht mehr nachkommen konnten, mit Brot und Wasser bestraft – oder öffentlich geächtet, manchmal sogar enthauptet. Das ist natürlich nicht mehr zeitgemäss. Doch es erinnert daran, dass Verantwortung einmal untrennbar mit persönlicher Haftung verbunden war. Heute ist sie weitgehend verschwunden. Noch finden sich Privatbanken mit täglich gelebter Verantwortung durch die Eigentümer. Wenn sie Risiken eingehen, tragen sie diese persönlich. Wenn sie Fehler machen, bezahlen sie dafür. Diese Haftung verhindert riskante Geschäftsmodelle und Investitionen und diszipliniert die Bankführung, so wie dies keine Regulierung je erreichen kann.
Das Eine von der Vereinigung Schweizerischer Privatbankiers in Auftrag gegebene Studie zeigt auf, wie sich die Entkopplung von Eigentum und Haftung in verschiedenen Ländern entwickelt hat. Über viele Jahrhunderte war es selbstverständlich, dass Bankiers mit ihrem Privatvermögen für ihre Geschäfte hafteten.
Im Zuge der Industrialisierung und der Globalisierung veränderte sich dieses Prinzip grundlegend. Staaten brauchten für den wirtschaftlichen Aufschwung wachsende Kreditvolumina und stärkere Banken. Um Kapitalaufnahme und Wachstum zu erleichtern, wurde die persönliche Haftung der Bankinhaber sukzessive reduziert. Nach dem Zweiten Weltkrieg wechselten auch in der Schweiz viele Privatbankiers in die Rechtsform der Aktiengesellschaft. 1945 gab es noch 80 Banken mit unbeschränkter Haftung, 1972 nur noch 37, und heute sind es nur noch 5 – Baumann & Cie, Bordier & Cie, E. Gutzwiller & Cie, Rahn + Bodmer Co und Reichmuth & Co.
Der Trend zur beschränkten Haftung hatte wirtschaftlich nachvollziehbare Gründe: Wachstum, Skalierung, Kapitalzugang, internationale Expansion und eine erleichterte Nachfolgeplanung. Doch mit der Haftung ist auch ein Teil der Verantwortung verschwunden – und dieser Verlust ist heute unübersehbar. Denn was passiert, wenn Verantwortung anonymisiert wird? Risiken steigen. Eigenkapitalquoten sinken. Und plötzlich ist der Staat gefordert – nicht nur als Regulator, sondern als Retter in der Not. Die implizite Erwartung, dass der Steuerzahler einspringt, wenn es schiefgeht, ist längst Realität.
Wie die Studie darlegt, hat der Staat drei Möglichkeiten, mit Bankrisiken umzugehen: Er kann Entscheidungsträger in besondere Haftung nehmen, das Geschäft stärker regulieren – oder staatliche Schutzschirme aufbauen. Heute dominieren Letztgenannte und dazu immer komplexere Vorschriften. Der Preis dafür ist bekannt: ein System, in dem Verantwortung nicht mehr dort liegt, wo sie hingehört. Problematisch hierbei ist, dass Regulierung zwar Fehlanreize dämpfen kann – aber kein Verantwortungsbewusstsein erzeugen kann. Wer nicht haftet, entscheidet anders. Und wer weiss, dass Verluste kollektiv aufgefangen werden, hat wenig Grund, sich zu beschränken.
Das Privatbankiermodell ist nicht romantisch oder nostalgisch. Persönliche Haftung ist anspruchsvoll. Sie ist unbequem, aber heilsam. Sie verlangt konservative Bilanzführung, langfristiges Denken und Augenmass. Deshalb unser Appell: Wer tatsächlich mit «skin in the game» arbeitet, also persönlich haftet, sollte anders behandelt werden als Institute, die bei Schieflagen nach dem Staat rufen. Es ist weder gerecht noch sinnvoll, dass alle Banken über denselben regulatorischen Kamm geschoren werden.
Wer persönliche Haftung lebt, sollte nicht durch neue Vorschriften bestraft, sondern durch kluge Differenzierung gestärkt werden. So anerkennt der Gesetzgeber die Besonderheiten der Privatbankiers und trägt dadurch letztlich auch zur Diversität und Stabilität des Schweizer Finanzplatzes bei.
Die Rolle der unbeschränkt haftenden Privatbankiers ist wichtig. Denn wenn niemand mehr persönlich einsteht, wenn Verluste anonym bleiben, wenn Haftung zu einer juristischen Konstruktion verkommt, dann verlieren wir mehr als Stabilität: Wir verlieren Vertrauen.
Zu den Personen
Christian Bidermann ist Partner bei Rahn + Bodmer Co.
Jürg Staub ist unbeschränkt haftender Gesellschafter bei Reichmuth & Co.
Zeitungsartikel aus der NZZ „Haften statt retten“
Essay “Wer übernimmt Verantwortung?”